Manch einer wird sich wahrscheinlich noch an den Inspektor Alois Schimmelreiter erinnern können, der im Spätherbst so ein tragisches Ende fand, als er am Heimweg vom Wirtshaus mit dem Fahrrad in den Hausgrabenbach stürzt und dabei umkam. Ob Fremdverschulden vorlag, wurde niemals geklärt. Jedenfalls war Schimmelreiter zu Lebzeiten ein fähiger Inspektor, der so manchen heiklen Fall gelöst hat, und wir wollen ihm auf diesem Weg ein ehrendes Andenken bewahren. Den einen oder anderen Kriminalfall, welcher von ihm bearbeitet wurde, wollen wir uns in Erinnerung rufen. Wahrscheinlich ist es am ehrendsten, wenn ich den Fall so schildere, wie ihn der Inspektor oftmals geschildert hat.
„Also, die G’schicht war so“, fing er meistens an, „daß es eine sehr schöne Hochzeit war, mit allem Drum und Dran. Mindestens an die dreißig Autos sind damals zur Kirche g’fahrn, bändergeschmückt und lautstark hupend. Und des Brautpaar ist in einer offenen Kutsche g’sessn, die von zwei strammen Haflingern gezogen worden ist. Eine äußerst fesche Braut war des, die Gerti, des muß man schon sagen. Sie war die Tochter vom fünftgrößten Bauern im Dorf, nämlich vom Huberngut war sie. „Geh Resi, bring mir ein Bier“, rief der Inspektor dann meistens, weil hauptsächlich schilderte er diese Geschichten im „Goldenen Kreuz“, und dort war der Inspektor, wenn er sehr durstig war, also am Sonntag nach der Kirche. „Drei Musikkapellen hab’n gespielt und der Weitgrabner Dirndlchor hat gesungen. Die Dirndln sind oben g’sessn am Furtmüller seinem Anhänger. Der Furtmüller hat nämlich den größten Anhänger vom Dorf g’habt, müaßt’s wissen, gell. Ja, und geheiratet hat die Gerti den Leopold, einen rechten Hallodri. Am eindrucksvollsten beim Hochzeitszug war des, daß am Schluß, also hinter den singenden Dirndln, ein funkelnagelneuer Puch 4201 E g’fahrn ist. Ihr kennt’s ja alle den Puch 4201 E, oder?“, fragte damals der Inspektor die Stammtischmitglieder und nahm einen Schluck aus dem Krügel. „Dieser Traktor war also überaus festlich geschmückt mit Girlanden und so einem Zeug und war die Hochzeitsgabe des Brautvaters an seine Gerti. Die Mitgift sozusagen war der 4201 E. Ja, und am Traktor drauf ist der Gottfried, der Knecht vom Huberngutbauern g’sessn. Der hat den Traktor gelenkt. Der Gottfried war ein blendend aussehendes Mannsbild. Ein Bär von einem Mann, baumstark und nicht zum Umhau’n, hat man sich denkt. Ein Aug‘ hat der Gottfried auf die Gerti schon g’worfn g’habt und sie war ihm auch nicht abgeneigt. Aber wo wär’n wir denn, wenn der Knecht die Tochter vom Dienstgeber heiraten könnt, net wahr? Er hat sich also abg’funden damit, daß es nicht geht, der Gottfried. Und wie’s also so g’fahrn sind und alles in bester Ordnung war und die Musik schön g’spielt hat, ist es auf einmal passiert. Aber vielleicht könnt’s ihr euch noch an diesen Fall erinnern. Es ist ja sowieso damals in den Nachrichten g’standen und in „Oberösterreich heute“ haben’s auch davon berichtet.“ Hier legte der Inspektor eine Pause ein, um seinen Kameraden Zeit zum Nachdenken zu geben. „Na, wißt’s es nicht mehr?“, fragte er, und nachdem keine Reaktion von den Zuhörern kam, fuhr er fort. „Also stellt’s euch vor, mitten in der Fahrt kippt der Knecht, der baumstarke Lackel, plötzlich ohne ersichtlichen Grund vom nagelneuen 4201 E hintenüber hinab und bleibt maustot auf der Straßen liegen. Einfach so mir nichts, dir nichts, und der Traktor ist allein weiterg’fahrn schnurstracks in die Saustallwand vom Mostberger hinein.“ Mit offenen Mündern saßen die Stammtischmitglieder nun da, und vereinzelt ließ sich ein „Jessas Maria“ hören. „Na, das war natürlich eine Mordsaufregung“, erzählte der Inspektor weiter, „die Musikkapellen haben urplötzlich zum Spielen aufg’hört und sind davong’rennt, hintendrein ist der Dirndlchor kreischend vom Anhänger g’sprungen und die Braut ist beinah in Ohnmacht g’falln. Kasweiß war die Gerti im G’sicht und“, hier unterbrach der Inspektor wieder, um forschend in die Runde zu schauen, „und wißt’s, was mich als Kommissar stutzig gemacht hat, wie mir die Leut‘ des dann erzählt hab’n?
Der Leopold, der Bräutigam, ist bei der ganzen Aufregung seelenruhig in der Kutschen sitzengeblieben und hat so getan, wie wenn ihn das Ganze überhaupt nichts angehen würde. Stellt’s euch vor, wo doch die Mitgift, der 4201 E, auf einmal führerlos war und der Knecht maustot auf der Straßen liegt. Ich hab mir natürlich sofort gedacht, daß da mehr dahinter sein muß und hab‘ die Leich dann obduzieren lassen. Ja, und herausgestellt hat sich des, daß dem Gottfried ein äußerst giftiges Gift in seinen Frühstückskaffee gemischt worden ist. Es hat bei ihm natürlich länger gedauert, bis es g’wirkt hat. Wäre er nicht so stark gewesen, dann hätt’s ihn ja gleich umg’haut und nicht erst wie er am Traktor sitzt. Und wer ihm des Gift hineing’mischt hat in den Kaffee, werdet’s euch ja denken können“, sagte Inspektor Schimmelreiter und warf einen prüfenden Blick in die Runde. „Also der Leopold“, und hier legte Schimmelreiter wieder eine Pause ein, um vom Bier zu trinken. „war es nicht. Weil der Bräutigam kann doch nicht vor der Hochzeit bei der Braut schlafen, oder?“. Natürlich war es die Gerti, die dem Knecht das Gift hineing’mischt hat. Eifersüchtig war sie auf die Verlobte vom Gottfried und hat sich denkt, wenn ich den nicht krieg‘, dann braucht ihn auch keine andere haben. Und den Leopold hat die Sache deswegen kalt lassen, weil er den Gottfried sowieso nicht leiden hat können.“ Ein lautes Diskutieren hob nun an. Wie schrecklich eiskalt doch die Frauen sind, und daß ihnen selbst so etwas nie passieren könnte, meinten sie, die Männer vom Stammtisch. Weil sie würden jedes kleinste Tröpfchen Gift im Kaffee sofort merken. Selbst wenn es das Giftigste wäre.
„Ja, ja, so war das damals. Aber ich hab‘ noch ganz andere Fälle gelöst. Die werd‘ ich euch ein anderes Mal schildern“, sagte Inspektor Schimmelreiter, bevor er sich bedächtig eine Zigarre anzündete.
(erschienen am 1. Juli 1995 in OÖN)
Text & Foto © Henriette Sadler