Ausschnitte
RITTMEISTER (lacht dröhnend) Ho, ho! DU sprichst mir vom Leben? CHOR Hört, hört! Er spricht vom dreckigen Leben!
RITTMEISTER Da spuck ich einfach darauf ! (spuckt aus) Was bin ich? Und was sind wir alle? Wo bleiben die Waffen gegen das eiskalte Blut Elend, das wir Leben nennen?
(Zum Chor gewandt) Was sagt ihr? Wie achtet ihr das Leben?
CHOR (sprechend) Das Leben? Das Leben?
(Einzelstimmen, sprechend) Es ist dreckig, ist treulos, ist ein Fehltritt, das Leben.
Ist ein schmaler Weg. Ein geiles Blendwerk. Eine traurige Werkstatt. Ein wirrer Traum. Eine nichtige Vergangenheit.
Ein halber Tod ist es. DAS LEBEN IST SAUKALT.
Während der Chor spricht, geht die Prinzessin ins Nachtasyl zurück. Sie knipst die Stehlampe an, greift nach dem Saxophon, welches neben dem Bett Schreibers steht, streicht über das Instrument. Der Barfüßige erhebt sich von seiner Decke, beobachtet die Prinzessin. Lumpenflicker hat sich aus seinem Lumpenberg geschält und blättert in der Bibel.
CHOR Das Leben ist uns dennoch teuer!
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SCHREIBER
Verstand und Gewissen,
das sind zwei sich einende Punkte.
RITTMEISTER
Was grenzt den Menschen gegenüber dem Esel?
Das Denken, jawohl, sobald es erwacht,
muss man es härten und schärfen.
LUMPENFLICKER
Was grenzt den Menschen gegenüber der Schlange?
Das Gewissen, jawohl, sobald es erwacht,
muss man es zum Guten hin drillen und üben.
RITTMEISTER und LUMPENFLICKER
Verstand und Gewissen,
sind zwei sich einende Punkte.
SCHREIBER
Verstand und Gewissen sind Gold!
Nicht jeder ist damit bedacht.
(Henriette Sadler: Auszüge aus der Kammeroper Asyl, uraufgeführt 2001)
Foto © Wiltrud Hißnauer
Text © Henriette Sadler