Facetten 1998
(Hrsg. Stadt Linz)
DIE FREMDWERDUNG / oder / MUTTERSPRACHE
(Sechstes Bild): MUTTER
verläßlichkeit ist jene stärke, die zu den wesentlichsten voraussetzungen zählt und keine annahme zuläßt, die einer tatsache nicht gerecht werden kann.
Manchmal war Mutter der Raum zwischen ihm und sich selbst. Stand zu ihm gebeugt aufrecht. Blickte auf ihn, doch blicklos vorbei.
Sätze, die sie an ihn richtete, gewährten weder Ableitungen, Einwände. Prägnante Texte, die keine Erläuterung zuließen. Gefüge, die keinen Übergang erlaubten, noch Schwankungen. Formeln auch. Knapp, schneidend. Mit einem Kreis zu umranden. Unterstrichene Sperrungen. Worte kennzeichneten, verzerrten keine Verästelungen ihre Lage, keinerlei Brüche.
Wörter, Sätze, die keine Umarmung mit sich führten.
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sand & salz
(Hrsg. edition pro mente, Linz)
INSELSOMMER
kieselbunt lehnen haeuser
am weg atmet muschelgesang
moewen / meer
sand & salz
unverschaemt lang
einen augenblick
auf die zunge
streicheln
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DIE RAMPE 4/07
(Hrsg. Land Oberösterreich)
Windspiele
Sie schloss die Tür und sah vom Spiegel aus den Fremden in ihrem Bett. Seitlich, die Beine angezogen, lag er da und sein Brustkorb hob und senkte sich in hohen Atemzügen, deren Geräusch sie an das Windspiel erinnerte, im Garten. Es hing an der einen Seite, wo es nur den Nordwind gab, der sie auf Wetterumschwünge aufmerksam machte, mit mattem Pochen gegen den Holzzaun, anders als der Bambus klang, auf dem rostigen Drahtgeflecht, das einst ihr Haus umgab, daran verwendete sie in diesem Moment aber keinen Gedanken, vielmehr an Ebbe und Flut und an Hong Kong.
Kan Yu bedeutet, beobachte Himmel und Erde, wie er wohl heißt, dachte sie, und daran, wie glühend die Stürme waren auf Lantau Island, in der Silvermine Bay, an den langen Stränden, die sie nie mehr so erleben wollte, so allein. Ein Weiser riet ihr nach leichteren Wegen zu suchen und Träume zu finden, immerfort neue und keinen einzigen festhalten zu wollen, denn Träume sind keine Gedanken, so wusste sie, auch ihn bald wieder fortlassen zu müssen, um glücklicher zu sein.
Behutsam legte sie sich an die Seite des Schlafenden, es tat wohl wärmende Nähe zu spüren, keineswegs fremd, wer ist schon ein Fremder in einsamen Welten und Nächten, bewahrte nur seinen Geruch als Fährte für später.
Text © Henriette Sadler
Fotos © Wiltrud Hißnauer