WIENER SZENE Frau Cilli und Frau Hedi treffen sich in Linz bei einer Seniorenweihnachtsfeier. Sagt Frau Hedi zu Frau Cilli: „Na Cilli, bist wieder zurück von den Deinigen und sinds mit Dir in Wien auch ein bissl herumkutschiert?“ „Ja, was glaubst, Hedi,“ sagt Frau Cilli, „so viel habens mir zeigt, meine Kinder. Die Hermesvilla, zum Beispiel, da waren wir bei der Kaiserin.“ „Bei der Kaiserin?“ fragt Frau Hedi erstaunt. „Aber die lebt doch gar nimmer!“ „Na, ich mein ja nicht die Kaiserin selbst. Aber eine Ausstellung über sie haben wir uns angschaut und die alten Betten vom Kaiser hab ich auch gsehn?“ „Aber geh! Dem Kaiser seine alten Betten?“ fragt die Hedi wieder. „Ja“, sagt die Cilli, „im Kaiserlichen Hofmobiliendepot! Und dann haben mich die Kinder in die Goldeggassn gfahrn!“ „Aha“, sagt die Frau Hedi darauf, „in die Goldeggassn?“ „Ja, einen Museumsbesuch haben wir dort gmacht“, nickt Frau Cilli. Frau Hedi seufzt. „Mein Gott, einen Museumsbesuch, wie schön! In was für einem Museum wart ihr denn?“ „Na, ins Bestattungsmuseum sind sie mit mir gegangen, und ich sag Dir, so etwas von Prunk gibts bei uns in Linz gar net! …
(Auszug aus: Wiener Szene, erschienen am 5. Dezember 1998 in OÖN) |
WIE SONST AUCH IN SOLCHEN STÄDTEN
Das Palasthotel frühmorgens macht seinem Namen kaum Ehre, weder innen noch außen, mit den tropfenden Hähnen, den Wäschebergen am Gang und der mit Taubenkot getüpfelten Fassade, höchstens die bizarr anmutenden Fenster erinnern an Jaipur, genauer gesagt, an den Palast der Winde, den „Hawa Mahal“. In der Morgendämmerung kreist ein Schwarm Vögel um verwehte Wolken, lässt sich mit Krächzen und Lauten, wie fremdartiges Lachen so ähnlich, auf einem Denkmal nieder, einer Figur aus Stein, deren Name ich nicht kenne. Gegenüber das Café ist geschlossen, auch das Geviert, wo sonst der Geiger steht, mit dem einäugigen Köter zu seinen Füßen neben der Schirmmütze, die meist nur mit wenigen Münzen bestückt ist. Vor dem Campanile ein paar Japaner, adrett und lächelnd, mit sanfter Müdigkeit im Blick. Die Sonne ist ein roter Ball. Der Tag droht schwül zu werden. (Auszug aus: SADLER/Venedig, unveröffentlicht)
VENEDIG: Rendezvous am Südufer
Die Accademia befindet sich dort, am Südufer des Canal Grande, in Dorsoduro. Dieser Stadtteil besteht aus Inseln und Palästen und natürlich Kanälen. Das Wort „Insel“ erinnerte sie an Korallen, Paläste an Kälte, wenn sie an den Winterpalast in Sankt Petersburg dachte, Kanäle an ihre Heimatstadt. Harry Lime, beziehungsweise Orson Welles, hatte sie nie kennen gelernt. Ersteren nicht, weil sie sich nie diesen Film ansah, deren Held er war, den zweiten aus dem einfachen Grund, weil sie auch Citizen Cane nicht kannte. Nachdem sie die Sammlung durch hatte, spürte sie kaum ihre Füße. Zu lange war sie zwischen Bassano, Cima da Conegliano, Palma Giovane und all den anderen herumgelaufen, die die Galerie bevölkerten. Rein bildlich gesprochen natürlich. In dem Raum, in dem eine smaragdgrüne Ledercouch stand, umgeben von venezianischen Eindrücken, mattem Glas und Kalksteinmauern, die sie an eine Festungsanlage erinnerten, fand sie ihre Ruhe wieder. Selbstverloren schloss sie die Augen, betrachtete ein inneres Bild, ohne den Mann zu bemerken, der aus einem Seitengang trat und sich hinter sie stellte. Das Paar befand sich, wie auf einem Teppich, in einem blumenübersäten Wiesenstück. Umhüllt vom Mantel des Liebenden, bettete die Frau ihm ihr Gesicht empor, schien an seiner Gestalt entlang zu fließen, angetan mit Liebesgold. Das Ineinanderschmelzen des Paares vermied jedes Aufbrechen zu Körperlichkeit, ebenso der Kuss, mit dem der Mann die Wange der Frau berührte. Die Welt schien ausgeblendet. Der hinter ihr Stehende war versucht ihr Haar zu berühren, die leichte Beuge ihres Halses, ihres Nackens. Angesichts der raschen Bewegung mit der sie sich kerzengerade auf dem Smaragdgrün der Couch zurechtrückte, um wieder auf venezianische Kunst hinzublicken, zog er seine Hand zurück. Wie Dutzende Male zuvor gewahrte sie den Abgrund, an dessen Rand die Frau kniete, gewahrte deren Füße, gegen den Stein gepresst, als ob sich auf diese Art ein Sturz vermeiden ließe, gewahrte die Anspannung und die Angst dieser Frau, diese Einsamkeit. Sich dem Liebenden zur Gänze auszuliefern, forderte ihr wohl noch zu viel ab. Ihre Hand hielt seine Hand und verhinderte so die Berührung der Lippen. Die Stimme des Mannes hinter ihr, löste die Spannung, in die sie sich bei der Betrachtung dieses Gemäldes immer wieder begab. „Es stammt aus Klimt’s ‚Goldener Periode’“, sagte er. „Und es gibt keine Tiefenräumlichkeit in dem Bild, ich weiß“, antwortete sie lächelnd. Dann begaben sie sich in eine kurze Diskussion über unnütze Einkäufe und darüber, dass Frauen nie pünktlich sein können. Als sie den Canal Grande entlang gingen, küssten sie sich. Wie schon öfter an ihrem Geburtstag führte er sie ins Corte Sconta, das in Castello lag. Dort legte er dann die in lila Seidenpapier eingepackte Schachtel vor sie hin, in der sich ein kleines ägyptisches Kreuz befand, das Smaragde trug, wie Hieroglyphen. Er wusste im ihren ausgefallenen Geschmack allzu gut Bescheid. „Alles Gute zu deinem Festtag, mein Schatz“, sagte er und küsste ihre Hand. Sie lächelte ihn an. „Danke“, sagt sie, stand auf und umarmte ihn. Dann gab sie ihm das Kuvert, in dem sich die Eintrittskarten befanden, für Othello, im La Fenice. „Auch dir alles Gute zum Hochzeitstag, Liebling.“ (Auszug aus: SADLER/Venedig, unveröffentlicht)
|
DIE INSEL An jenem Morgen ging der Wind lautlos. An jenem Morgen bewegten sich die Wellen kaum und das Rufen der Lachvögel, die im Flug mit ihrem Körper das Wasser streiften, klang einsilbig. An jenem Morgen nahm die Sonne Platz am Himmel. An jenem Morgen legte sie ihr rotgelbes Licht auf steinerne Stufen, Sekunde um Sekunde, die Uferterrasse entlang, und ihr Leuchten war ein klarer, wärmender Strahl. An jenem Morgen roch das Meer nach Muschelkalk und nach Seetang, und die Fischer zogen ihre Boote an Land. Am Strand lagen verbeulte Plastikbehälter, welche die Flut angespült hatte, zwei leergetrunkene Weinflaschen, an denen Harzgeruch klebte und eine vergessene Sandspielschaufel. An jenem Morgen stand blühender Ginster neben der Alltäglichkeit knorriger Olivenbäume in einem Atemzug. An jenem Morgen warf sich der Baumschatten wie das Kopftuch der Frauen, schwarz und faltig. Die Steinhäuser mit den roh gehauenen Stufen wuchsen am Feigenbaumhügel, wo die Zikaden kreischten. An jenem Morgen bereitete sich das Dorf auf den Tag zu. Kostas lachte sein zahnloses Lachen und Irini kochte starken Kaffee. Aus dem Fenster gegenüber klangen Stimmen und Musik und zusammengetragene Geräusche. An jenem Morgen erwachte alles wie immer, das Leben begann im Dorf auf der Insel wie jeden Tag … |
(Auszug aus: „Die Insel“ / Erzählung)
Text & Fotos © Henriette Sadler
++++++++++++++++++++++++++
RAINER MARIA RILKE (Paris, 1902)
Der Panther
Im Jardin des Plantes, Paris
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf, dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille
und hört im Herzen auf zu sein.
Der Jardin des Plantes ist der Botanische Garten in Paris. Er wird von dem Menagerie du Jardin des Plantes, einem Tiergarten, begrenzt. 1793 hätten die exotischen Tiere entweder geschlachtet oder ausgestopft werden sollen, Naturforscher dieses Tiergartens ließen die Tiere jedoch leben.