PROLOG
Der Plan lag im Ansatz. Die Tat stand von Anfang an fest. Pläne und Taten sind vorwiegend personenbezogen. Ebenso zeitmäßig umgrenzt. Der niemals plante, den überraschte der Tod. Hastig oder gezielt. Unüberlegt Begangenes birgt den Rechtfertigungsvorteil. Gezielt Durchgeführtes umschließt Anruch.
Die Tat jedoch stand von Anfang an fest.
14. Oktober:
Als ich dir heute gegenübersaß, wußte ich, ich will eine Ausdeutung des gesamten Geschehens versuchen.
Denn die Wahrheit soll sich zurechtstoßen.
Ich will alles berichten. Ich will nicht länger schweigen. Ich will keine Schuldige sein.
Mit meinem Bericht gedenke ich meiner Toten.
Einer, die aufgrund eines an ihr begangenen Frevels kalt wurde. Vieler, die aufgrund an ihnen begangener Frevel kalt wurden. Unentwegt Kälte macht starr. Es stockt, es gefriert.
Es dauert!
Einer erwartet es.
In diesem Zustand fängt sich die Zeit.
***
Die Beerdigung war am 5. Juli.
Eine Katze verweste im Alpenwacholder. Die Tierleiche lag zwei Reihen von jenem Grab entfernt, dessen Bepflanzung ich zeitweise gieße. Es ist das Grab von Emmis Mutter. Tags zuvor hatte ich es gegossen. Ich hatte die verwesende Katze bereits tags zuvor im Gebüsch liegen sehen. Verabsäumte, den Totengräber darüber in Kenntnis zu setzen.
Verabsäumtes kann Unannehmlichkeiten verbreiten. Gestank.
Die Hitze würgte. Sie lag auf der Erde. Sie sengte den Staub. Der Pfarrer redete von Taten und von sich widersprechenden Worten. Vom Licht, das verbindet. Davon, daß der Sohn uns mit seinem Blut reinigt. Wer behauptet ohne Schuld zu sein, betrügt sich selbst.
Und spricht nicht die Wahrheit, sagte der Pfarrer.
Meine Übelkeit trat mit der Schwärze in Wechsel. Schubweise. Dann Punkte. Tanzend. Kreiselnd. Ich wußte von der Bank bei der Birke. Nicht weit entfernt: Nikis Grab. Eva und ich waren ab und zu auf der Bank nahe des Kindergrabes gesessen. Brachte es nicht über mich, am Tag ihrer Beerdigung auf der Bank bei der Birke zu sitzen. Wollte weiter nicht denken und kauerte mich auf den Stein, der das Kindergrab rahmte. Er war schroff. Härte drängte sich auf. Ich spürte sie durch. Trug dieses smaragdgrüne Kleid. Kniekurz. Du kennst es!
Ich zwang mich, meine Aufmerksamkeit von der Übelkeit zu lenken. Von der Schwärze.
Das Holzkreuz!
Die Inschrift darauf: Niki N. 1990 – 1993.
Die Jahreszahlen ließen sich nur undeutlich lesen. Andererseits: Gelebt ist gelebt.
Während sie den Sarg hinabsenkten, saß ich am Rand des Kindergrabes. Während sie Schäufelchen Erde auf den Sarg häuften, vermißte ich dich. Während sie das Gebet sprachen, Vater unser im Himmel, ich hätte deine Hand in die meine genommen.
Sie müssen Gudrun sein, sagte sie.
Das Begräbnis ihrer Tochter hatte sie wohl veranlaßt, auch zum Grab ihres Enkels zu kommen. Während sie näher kam, stand ich auf. Ich entschuldigte mich. Nahm an, es schiene ihr nicht passend, mich auf dem Rand des Grabes sitzend vorzufinden.
Sie strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn.
Der Kleine! Gut, daß er es nicht miterlebt hat. Diese Schande, sagte sie, streckte mir eine Hand entgegen. Ich murmelte etwas von Beileid. Zwang mich, ihr ins Gesicht zu blicken. Da umarmte sie mich, als würde sie mich schon sehr lange, sehr genau kennen. Ihre Wange an meiner war kühl. Und trocken. Und fremd. Sehr fremd war diese Berührung!
Dann, im Zurücktreten: Dieses Smaragdgrün! Es steht ihnen gut! Besser als schwarz. Schwarz würde sie allzu blaß machen.
Ihr Lächeln, ihre aufrechte Gestalt. Etwas an ihr irritierte mich. Ich hatte sie mir anders vorgestellt. Häßlicher. Plumper. Vor allem: Gebeugt!
Ich wünsche mir, ich hätte meiner Tochter das sein können, das sie ihr waren, sagte sie.
Blond. Sehr blond, das Haar. Über der Stirn ein wenig toupiert. Am Ansatz sah man das Dunkle.
Wie meinen sie das?
Eine Freundin, sagte sie. Einer Freundin erzählt man doch vieles!
Es schmerzte in ihr Lächeln zu sehen. Ich riß mich zusammen.
Wären sie bereit, mir alles zu erzählen? Aus ihrer Sicht, meine ich!
Ein verzerrtes Lächeln schmerzt vermutlich zwei Seiten. Den, den es trifft und den, der es lächelt. Sie wandte sich von mir, sah Richtung Holzkreuz. Fragte nicht nach. Auch nicht, was ich mit dem einen Wort meinte: Alles!
Man soll doch immer zwei Seiten betrachten!
Weshalb interessiert sie eigentlich das Ganze, sagte sie.
Ich schwieg.
Sie zögerte nicht länger: Ja! Ja, ich wäre bereit!
Zwei Wochen später bekam ich per Post die von Dora N. besprochenen Tonbandkassetten.
Es war nur ein sehr schmaler Streifen hellrosa Papier, der den Kassetten beigefügt war.
”Ich weiß, ob meiner Schuld! Ich machte mich mitschuldig durch mein Schweigen!
Kein einziges Anzeichen dürfte totgeschwiegen werden, selbst wenn die Wahrheit noch so eine Grausame wäre.
Dora N.,
Mutter”
+
EJECT / 1. Abschnitt
Irgendwann steht es still und nichts scheint verloren. Selbst wenn es Jahre zurückliegt.
An jenem Tag erwartete ich U. im Buffet. Als ich mit dem Erwarten begann, war es halb elf und Käthe brachte mir den ersten Cappuccino. Sie arbeitete schon seit Jahren als Kellnerin dort. Sie glaubte, mich halbwegs zu kennen. Eine Viertelstunde später bestellte ich den zweiten Kaffee. Um Viertel vor zwölf hatte ich davon insgesamt vier getrunken, hatte bis dahin acht Zigaretten geraucht. Nichts gegessen. Nichts füllt die Leere.
Ich erwartete.
Um fünf vor zwölf ging ich in den Waschraum der Toilette. Ging an dem Stammgast vorbei. Er saß da. Wie täglich um diese Zeit. Saß beim Stammtisch, in einer Runde, die sich nach und nach zu vervollständigen schien.
Im Waschraum putzte ich meine Zähne. U. roch es sofort, wenn ich geraucht hatte. Er mochte es nicht. Er küßte mich selten.
Aus der Herrentoilette stank es nach Ammoniak.
Ich erwartete U. regelmäßig in diesem Buffet. Erwartungen kann man sich zur Gewohnheit machen.
Wie das Bekritzeln von Bierdeckeln oder das Bauen von Kartenhäusern ist auch Erwarten Gewohnheit.
Das Buffet war eine Holzbaracke am Ende des Stadtparks. Braun, mit grünen Fensterläden und Türen, damit es sich farbmäßig in den Baumbestand fügte. Hellgrüne Wände im Gastraum, Wirtschaftsraum, Küche. Im Gottfried-Stüberl! Der Vorname des Wirtes war Gottfried.
Grün in den Damentoiletten. Ich nehme an, auch im Ammoniakklo.
Zum Park hin: Der Gastgarten mit den Kastanien. Gegenüber des Buffets: Die Straßenbahnhaltestelle. Landesgericht. In dessen Gebäude waren vorübergehend Büros des Finanzamtes untergebracht. Mit Ende des Jahres sollte das Finanzamt wieder in die Kapfingergasse rückgesiedelt werden. Drei Straßen davon entfernt war die Redaktion, an die ich regelmäßig meine Short-Stories lieferte.
Während ich im Buffet U.s Kommen erwartete und allein an einem Tisch saß, bekritzelte ich Bierdeckel und Servietten.
Suchte Stichwörter. Schuf Entwürfe. Textskizzen.
Endgültige Formulierungen sparte ich aus. Diese ergaben sich nachts wie von selbst. Für einen, der selten geküßt wird, ist die Nacht nichts weiter als schwarzes Gefüge. Irgendwann steht die Zeit still, und nichts scheint verloren.
Gegen 15.30 Uhr: Ich sah meine Erwartungen in den Schatten gestellt. Es war schwül geworden. Ein Gewitter zog auf. Ich rief nach Käthe. Wollte zahlen. Der Stammgast saß noch immer mit ein paar anderen drüben.
Das übernehm ich! Was willst denn noch? Ich lad dich auf was ein!
Er feierte an jenem Tag seinen Fünfziger:
Cola-Rot oder Kognac? Was ist dir lieber?
Einem der den Fünfziger feiert, schlägt man nichts aus.
Ex! So bist brav!
Den ersten Kognac trank ich auf einen Zug, den zweiten dann doch lieber in Schlucken.
Ungefähr 20 Minuten später: Ich verließ das Buffet. Ging quer über die Fahrbahn Richtung Landesgericht. Das Gewitter lag dunkel. Regen hatte eingesetzt. Hinter U.s Fenster brannte Licht. Ich sah es. Ich weiß, daß ich hinter U.s Bürofenster deutlich elektrisches Licht brennen sah. Dann war dieser Schatten. Augenblicklang. Und dann das Hören.
Das Rasseln. Das Keuchen.
Atemholen.
Das Flimmern im Blickspalt. Wischend und schwimmend. Augenblicklang. Kreischend. Betäubend.
Sie und ich auf den Schienen.
Glaub mir, da ist nichts mehr in einem solchen Moment. Da wartest du bloß auf Bewegung. Eingetrichtert, mechanisch. Zögernd, ja. Vorerst zögernd. Zwei Schritte.
Der Abstoß. Erkennen und rennen. Mit zusammengekniffenen Augen. Direkt.
Ich war auf sie zugerannt. Dem Kreischen war Stille gefolgt. Dumpf. Die Stille tat nicht weh. Dann im Fallen nahm ich das Vibrieren wahr. Jenes Abgeschwächte, mit dem ein Körper auf einen Widerstand trifft.
Du mußt wissen, damals vertrug ich Alkohol schlechter als heute. Als ich wieder zu mir fand, schrieb ich meine Lage den zwei Kognacs zu.
Man hatte mich auf den Gehsteig gelegt. Jemand bot mir als Stütze die Hand, war mir beim Aufrichten behilflich.
Sie lag neben mir. Jung. Ich schätzte sie um die zwanzig.
Stieß schweißgebadet Atem von sich.
An diesem Tag hatten wir über dreißig Grad und sie hatte den braunen, filzigen Poncho an. Darunter eine Langarmbluse und eine Jogginghose.
Das Haar: Gebunden. Geflochten. Schulmädchenzopf. Das Gesicht: Blaß. Durchscheinend. Am Kinn das Muttermal. Und die Spur Blut, parallel zur Unterlippe verlaufend. Jemand gab ihr ein Taschentuch. Sie preßte es gegen die Lippen. Als sich der Lenker der Straßenbahngarnitur über sie beugte, schien sein Gesicht, im Gegensatz zu ihrem, unnatürlich rot.
U. kam von irgendwo gelaufen. Ich spürte den Schmerz in der Schulter.
Herrgott, was hast du bloß wieder angestellt!
Noch bevor er bei mir war, rief er mir das entgegen. Nicht als Frage, nicht als Vorwurf. Mehr als Feststellung. U. liebte es, feststellen zu können.
Einer der Umstehenden sagte was von einem geretteten Leben. Da horchte ich auf. Dachte an meines. So vieles scheint sinnlos zu sein. Doch um zu dieser Erkenntnis zu kommen, fordert es Zeit. Sich selbst gegenüber ehrlich zu sein, ist ein aufwendiges Unterfangen. Gott hat uns mit vielem bestraft. Vor allem mit der Erkenntnis.
Sie starrte mich an. Es tanzten Punkte in ihren Augen. Klein und gelb. Knapp neben der Iris. Ich kniete mich neben sie hin. Der Straßenbahnfahrer spuckte knapp neben meinen Schuhen vorbei.
Weibergesindel!
Sie ergriff meinen Arm, krallte sich daran, geriet auf diese Weise ins Sitzen. Ihre Hand war so kalt. Fremde Hände können so kalt sein.
Wieso, sagte sie. Wieso hast du es mich nicht zu Ende bringen lassen?
Sie sprach es sehr leise. Noch immer tanzten die Punkte.
Kennst du sie, fragte U.
Ich schüttelte den Kopf.
Du gehst also ein Risiko ein für jemanden, den du nicht kennst!
Ich half ihr aufzustehen. Außer an der Unterlippe schien sie sich nicht verletzt zu haben. U. fuhr uns ins Krankenhaus, wo man sie und mich ambulant verarztete. Meine Schulter war geprellt. Der Schnitt in ihrer Unterlippe mußte genäht werden. Ich nehme an, als ich sie von den Schienen riß, streifte ich mit der rechten Hand ihr Gesicht. Der Ring, den ich trug, war mit winzigen Splittern besetzt. Diamanten, die U. sich eingebildet hatte, weil sie unserer Ehe Glück bringen sollten.
Während der ärztlichen Behandlung saßen sie und ich nebeneinander. Pritsche an Pritsche. Man befragte uns. Wollte unsere Daten wissen.
Ich nannte ihnen die meinen. Machte nicht viele Umstände. U. war in Eile.
Dann fragte man sie. Vorerst schwieg sie. Warf mir einen Seitenblick zu.
Also los, tun sie gefälligst weiter, sagte einer.
Name und Alter?
Eva, sagte sie. Nannte dann ihren Nachnamen. Dann ihr Alter: 28.
Wo wohnen sie?
In der Kochgasse 10. Das ist in der Nähe vom Jahrmarkt.
Aha, sagte einer.
Dann: War sie nicht vorsätzlich, die Handlung? Die Straßenbahn? Sie müssen sie doch gesehen haben!
Sie schrie: Was glauben sie denn? Bin ich blöd? Wenn schon, dann schmeiß ich mich vor den D-Zug! Da wäre ich wenigstens gleich weg.
Sie schwiegen. Bei passender Gelegenheit scheint es leichter, einer Aussage Glauben zu schenken, zu der man bei nicht passender Gelegenheit Zweifel anstellen würde. Auch ein Achselzucken ist leichter, als sich über Widrigkeiten Gedanken zu machen.
Wie gesagt, U. war in Eile. Dennoch bestand ich darauf warten zu wollen, bis sie fertig verarztet war. Als sie aus dem Behandlungsraum kam, hatte sie wieder den Poncho übergezogen.
Wie halten sie das bei der Hitze nur aus? Können wir sie nach Hause fahren?
Sie verneinte. Dankte.
Etwa 19.00 Uhr: U. setzte mich vor unserem Haus ab, fuhr zurück in sein Büro. Auch diese Nacht verbrachte er dort. Auf einer ausziehbaren Doppelliege, deren Bezug gescheckt war.
Wieso brauchst du hier eine Doppelcouch, fragte ich ihn, als ich die Liege im Vorzimmer seines Büros zum ersten Mal gesehen hatte.
Liebling, du weißt, ich brauche einfach genügend Freiraum. Auch beim Schlafen!
Nach seinen im Büro verbrachten Nächten kam er meistens gegen neun Uhr nach Hause, um das Frühstück mit mir einzunehmen.
Schatz, du kochst so wunderbaren Kaffee!
Da konnte mir niemand das Wasser reichen.
Am nächsten Tag:
Es war gegen neun Uhr. Es klingelte. U. hatte Anstand. Ziemlich oft vergaß er den Haustürschlüssel. Ich öffnete. Sie stand draußen. Die Wunde an ihrer Lippe sah nicht gut aus. Der Poncho erschien mir heller braun als am Vortag.
Entschuldigen sie! Gestern! Ich weiß nicht, was mit mir los war! Da!
Sie hielt mir einen Strauß Dahlien hin. Gescheckt. Wie U.s Doppelliege.
Woher wissen sie wo ich wohne?
Das haben sie ja gestern im Krankenhaus gesagt!
Ach, richtig!
Ich bot ihr eine Tasse Kaffee an. Sie lehnte ab.
Ein Glas Saft?
Nein, danke!
Eine Zigarette?
Sie schüttelte den Kopf. Blieb, wo sie war. Vor der Tür.
Es tut mir leid!
Sie zeigte auf meine Schulter.
Ach, was! Meine Nächte sind ohnehin lang. So oder so, sagte ich.
Also dann!
Sie hob flüchtig die Hand.
Und rannte.
Als ich mit Axel zurückkam, saß sie neben dem Glastisch, und preßte einen Teddybären an sich. Ich fand es kindisch. Schließlich war sie ja achtundzwanzig. Noch dazu sah der Bär fleckig aus. Abgegriffen. Verunreinigt. Und ihm fehlte ein Auge. Auf dem Boden lag noch immer das Foto. |
Sie gab mir ein Heft. Auf dessen Umschlag
stand: DATELESS.
Im Heftinneren:
”WER SCHWEIGT, IST UNANTASTBAR IN SEINEM SCHWEIGEN. DOCH
WERDEN SCHWIERIGKEITEN NICHT DADURCH ÜBERWUNDEN, DASS
SIE VERSCHWIEGEN WERDEN, DENN OFT SCHWEIGT MAN AUS
FURCHT, UND MIT DER FURCHT FÄNGT DIE UNFREIHEIT AN.”
Ich werde jemanden umbringen, sagte Eva. In seiner Form sah der Brei aus wie ein Pilz. Verglichen mit dem Hören ist das Sehen eine weitaus aktivere Wahrnehmung. So ist es bei weitem leichter, aktiv wegzuschauen als wegzuhören. Es ist leichter, die Augen anstatt die Ohren zu schließen. Den Salat macht man in der Schüssel, sagte sie und hielt mir ein Küchentuch hin. Im Duden wird der Ton als eine regelmäßige, durch das Ohr wahrgenommene Schallschwingung erklärt. Je größer die Anzahl der Schwingungen in einer Sekunde, desto höher der Ton.
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Es kann mühevoll sein, einem Anfang gegenüberzustehen. Besonders für einen, der Anfänge nicht gewohnt ist. Das Erreichen eines Zieles ist das Ende des Anfangs. Im Wohnzimmer dann: Wir aßen. Sie trank schluckweise Bier. Vorsichtig. Abwartend. Neben dem Foto: Der Teddy. Einäugig glotzte er mich an. Mir auf den Teller, auf die zerstückelten Bissen, in die Mundhöhle, den Magen. Mir ist schlecht, sagte ich. Sie: Ein frisches Handtuch hängt neben der Waschmuschel! Im Bad: Die Hundeperücke hing auf einem Kleiderständer. Das Handtaschenherz lag achtlos am Boden, das Lackkleid über dem Badewannenrand. Auf der Waschtischablage lag das Rasiermesser. Ich klappte es auf. Es war handlich. Es gehört meinem Bruder, sagte sie. Lehnte mit verschränkten Armen beim Türstock. Was hast du wirklich vor? Wen willst du umbringen, fragte ich Eva. Allzu schwer ist es nicht mit dem Fragen. Eigentlich ist es nur eine Sache der Gewohnheit. Sie löste sich von der Stelle, auf der sie stand. Am Türstock sah man Spuren von blankem Holz. Sie nahm das Kleid. Dann das Herz. Hängte beides über den Kleiderständer. Was bist du überhaupt für ein Mensch, fragte ich. Welches Spiel spielst du? Ich spiele Hure! Was willst du damit sagen? Ich weiß, daß du keine Hure bist! Ich spiele Hure für einen, der daran schuld ist, daß ich für das Leben unfähig bin. |
Foto © Wiltrud Hißnauer
Text © Henriette Sadler