FRUAHLIACHD – JAHRBUCH EINER VORSTADTKINDHEIT |
… aum easchdn jänna …
aussigehh …
in stauwadn schnee einidreddn
und si s’fruahliachd
um d’oahhn waahn lossn …
a neichs joahh vafaungd si!
FRUAHLIACHD …
Das Kind war ein „Lediges“ und damals bedeutete das beinahe soviel wie Aussatz zu haben. Besonders am Land. Kleinmünchen liegt zwar nicht am Land, hat sich aber über sehr lange Zeit seinen dörflichen Vorstadtcharakter bewahrt. Im Kern zumindest. Das Denken der Kleinmünchner war immer ein wenig engstirnig, um nicht zu sagen, hinterwäldlerisch. Jedenfalls dachten das die übrigen „Linzer“, d’Stodtleut‘, die meist danach trachteten etwas Besseres zu sein und die das den Kleinmünchnern auch spüren ließen, wenn sie sich einmal in diesen abgelegenen Stadtteil verirrten. Die Kleinmünchner waren in ihren Augen die Hackler, die Tschinäula, die Glasscherbenviertler.
In dieses Milieu wurde das „Ledige“ hineingeboren, als die Spuren des Kriegswinters bereits verweht waren, und aufgewachsen ist es bei der Großmutter in Kleinmünchen, neben der damaligen Post, im Hitlerbau.
DIE URGROSSMUTTER
Sie hieß Anna. Ihr Mann war gelernter Bäcker, und die Anna war seine Witfrau. Im Jahr als das „Ledige“ zur Welt kam, ist der Bäcker-Urgroßvater gestorben. Ein schicksalhaftes Jahr war das. Leben und Sterben lagen so nah beisammen. Oft kam die Urgroßmutter zu ihnen. Schmächtig und zart sah sie aus. Aber wenn sie mit dem Gehstock ans Parterrefenster vom Hitlerbau klopfte, dann wackelten die Scheiben.
Die Geschichten, die sie dem „Ledigen“ erzählte, waren immer aufregend und geheimnisvoll. Von einer weißen Frau erzählte sie gern. Die wanderte in Kleinmünchen am Zaun entlang. Genau dort, wo die Urgroßmutter wohnte. „Am Langen Zaun“ wohnte sie nämlich, die Anna, und wahrscheinlich hat da die weiße Frau recht lange am Zaun wandern müssen. Aber ihr dürfte das gefallen haben, weil die Frau ist der Urgroßmutter öfter erschienen. Ein weißes Schleiergewand hat sie angehabt beim Wandern, und vom Zaun aus hat sie der Anna heimlich zugewunken. Auch damals, bevor die Urgroßmutter Witfrau wurde. Die Urgroßmutter glaubte fest daran, dass die Weiße die Himmelmutter war. Oder auf jeden Fall ein Erzengel, weil die Gestalt auch immer mit so einem gemessenen Schritt daher ging beim Wandern, wie eine Heilige eben.
Dann erzählte die Urgroßmutter noch von einem Bären, der zwei Kinder gefressen hat, als sie im Wald Beeren brockten. Mitten beim Brocken ist der Bär auf die Kinder zugesprungen und hat sie mit Haut und Haar aufgefressen. Nur mehr die Milchpitsche ist unter den Stauden gestanden, und die war leer, weil der Bär sogar die Beeren gefressen hat, welche die Kinder in die Milchpitsche gebrockt hatten. Wahrscheinlich waren die Beeren die Nachspeis für den Bären, dachte das „Ledige“ immer, wenn es die Bärengeschichte hörte.
An einem Ostersonntag ist die Urgroßmutter dann gestorben. Ganz plötzlich und nicht einmal verabschiedet hat sie sich vorher vom Kind. So hat dieses nie erfahren können, ob die weiße Frau wieder „Am Langen Zaun“ entlang gewandert ist, bevor der Tod zur Urgroßmutter kam.
FASCHING
Wenn die Schröcksnagel da war, dann war das wie Fasching. Die verkleidete sich immer bei ihnen. Dazu ging sie ins Kabinett neben der Küche, damit ihr beim Verkleiden keiner zuschauen konnte. Den Federhut und das Halstuch legte sie aber bereits im Vorzimmer ab, und ihren Fellmantel überreichte sie der Großmutter. Büt schön, Frau Poldi, passen Sie ja söhr drauf auf. Ihr Kind darf mür ja käunen Marmeladfleck drauf patzen. Die Räunigung ist söhr, söhr teuer, sagte sie dabei und machte beim Reden den Mund ganz spitz. Dann versteckte sich das „Ledige“ schnell unterm Küchentisch, weil geküsst wollte es von der Schröcksnagel auf gar keinen Fall werden. Erst wenn die Schröcksnagel ins Kabinett verschwunden war und die Großmutter sagte, kimm fira do, de Schreckschraubn tuat do schon nix, wagte es sich wieder hervor und sprach mit dem Besuch kein einziges Wort.
Aus dem Kabinett kam die Schröcksnagel immer mit einem hüftlangen, grellgrünen Umhang heraus, auf dem Sonnenblumen aufgezeichnet waren. Der Umhang sah aus wie ein Wachstischtuch, und die schrillen Farben machten die Schröcksnagel immer fürchterlich bleich im Gesicht und an den Waden. Sogar die Strümpfe zog die Schröcksnagel im Kabinett nämlich aus und steckte mit nackigen Füßen in Patschen, die einen gewaltig hohen und spitzen Absatz und eine Pelzumrandung hatten. Jezzd hauds ma n’Bodn wieda zsaumm, murmelte die Großmutter dann und schaute recht bösartig drein.
Dann machten sie der Schröcksnagel die Haare. Das besorgte aber immer die Mutter vom „Ledigen“, weil die Großmutter konnte das nicht richtig und hätte die Schröcksnagel wegen der Absatzpatschen am End recht fest bei den Haaren gezogen. Für der Schröcksnagel ihre Frisur nahmen sie sogar die Eisenwickler, weil mit denen hielten die Dauerwellen recht lang. Nähmen Sie nur die fästen, sagte die Schröcksnagel, wäul nicht, dass mür beim Nölkenball die Frisur zsammfällt, und das „Ledige“ musste der Mutter die Wickler hinreichen. Mit denen drehten sich dann ganz kleine Locken in die dünnen Haare von der Schröcksnagel und zum Schluss wurde das ganze mit dem Stielkamm auftoupiert.
Derweil die Schröcksnagel am Küchensessel saß und frisiert wurde, rauchte sie wie ein Schlot. Dazu machte sie auch so einen spitzen Mund wie beim Reden, aber da konnte sich das „Ledige“ nicht unterm Tisch verstecken, weil sonst hätte es die Eisenwickler für die Frisur nicht hinreichen können. Der Großmutter ihr Dreinschauen wurde mit jedem Zug von der Schröcksnagel bösartiger und derweil die gefönt wurde, zischte sie: De gaunze Kuchl varauggds ma wieda, wo i d’Vuahäng grod gwoschn hob.
Zum Schluss kam bei der Schröcksnagel noch das Bartzupfen dazu. Wäul nur Ihre Pünzette gräuft bis auf die Wurzel, behauptete sie, und einmal hat die Mutter vom „Ledigen“ sie beim Zupfen recht arg in die Kinnlade gezwickt. Etwas mähr Vorsicht, wenn ich bütten darf, schrie die Schröcksnagel auf und stieß den Waschwasserkübel halbert um.
Als Entschädigung fürs Frisieren ließ die Schröcksnagel dann eine Freikarte da fürs Theater oder einen Eintrittsschein für den Nelkenball. Das „Ledige“ bekam nie etwas von ihr. Wahrscheinlich deswegen, weil es so verstockt war und nichts redete, derweil es die Eisenwickler für der Schröcksnagel ihre Frisur hinreichte.
… d’hundstog ….
im brombeeaaschlog haum si d’hundstog a nest baud und d’hizz hod si eizwiggd, wiass gloggnlaiddn im mostbamgoaddn auf d’nocht, waunn de steaan bliahn, noch an sunnliachdn tog, hoggd a schlussleichdn wia a gluadd in de föda … da summa kimmd ausdriggad zuwagwaahd!Die Hundstage
Im Brombeerschlag haben sich die Hundstage ein Nest gebaut
und die Hitze zwängte sich
wie ein Glockenläuten
in den Mostbaumgarten
Am Abend, wenn die Sterne blühen,
nach einem sonnenlichten Tag,
sitzt ein Schlussleuchten
wie eine Glut in den Feldern
… der Sommer kommt ausgetrocknet herzugeweht!
Linolschnitt © Heike Sadler
Text & Fotos © Henriette Sadler