„Briefe“ aus der Winterschlacht am Donez bei Charkjow/Tschugujew 1941/42
Feldpost von Alois K., gefallen am 16. November 1941 bei Grakowo:
„Liebe Mutter!
So hart hab ich mir das Kämpfen nicht vorgestellt. Dem Schlamm, in dem wir in den vergangenen Wochen fast steckengeblieben sind, ist nun die Kälte gefolgt. 25 Grad unter Null haben sie heute gemeldet. Die warmen Sachen, die ihr uns von daheim an die Front schickt, reichen bei weitem nicht für alle Kameraden. Da dank ich Dir vielmals für die wollenen Fäustlinge, die Du mir im vorigen Winter gestrickt hast. Wenn ich beim ‚Wunschkonzert für die Wehrmacht‘ das Lied ‚Gute Nacht, Mutter‘ hör, dann wird mir immer ganz anders, und ich kann nichts tun, als an Euch alle denken,
Dein Alois“
Feldpost von Karl S., gefallen am 18. November 1941 bei Grakowo:
„Lieber Herr Kaplan!
Das Geschützfeuer will gar kein Ende nehmen, und viele von uns gehen vor die Hunde. Aber auch bei den Russen. Nichts als Krepieren ist rundum. Als ob das alles notwendig wär. Gestern hat es meinen Kameraden Alois erwischt. Direkt neben mir ist er gelegen, als es ihn getroffen hat. Siebzehn Jahr war er erst. Fast noch ein Bub. Viele die hier sind, sind noch so jung, Herr Kaplan. Da frag ich mich manchmal, ob es überhaupt einen Herrgott gibt, und mir fehlen dann ihre aufrichtenden Worte. Wir haben hier auch einen Feldgeistlichen, der, wenn es der Feind zuläßt, jeden Tag in der Früh einen Gottesdienst im Bunker abhält. Aber Sie, Herr Kaplan, Sie kenn ich doch schon so lang. Sagen Sie mir: Wieso schaut der Herrgott dem ganzen Elend da zu? Bitte schreiben Sie mir bald!
Ich schick Ihnen viele Grüße, Karl S.“
Feldpost von Johann M., gefallen am 19. November 1941 bei Nowo Gniliza:
„Mein herzallerliebster Schatz!
Wenn Du nur wüßtest, wie sehr Du mir fehlst. Ich denk oft an meinen letzten Heimaturlaub und wie glücklich wir zwei im Prater damals waren. Wenn ich die Fotografie von Dir anschau, dann seh ich direkt in Deine Augen, und ich hör dann auch immer Dein Lachen. So herzige Grübchen hast dann in Deinen Wangen. Manchmal denk ich mir, was könnt ich nur tun, damit ich endlich wieder zu Dir kommen und Dich abbusseln kann. Aber ein Trost ist, daß es hier allen Kameraden so geht, die ihren Schatz im Vaterland haben. Ich werd jetzt die Augen zumachen und dabei an Dich denken. Ich freu mich schon so auf Dich!
Dein Dich innig liebender Hans
NS: Heut hat’s meinen Freund Karl erwischt. Wie lang soll denn das alles noch dauern?“
Feldpost von Josef L., gefallen am 21. November 1941 bei Korobotschkino:
„Liebe Tante Helene!
Leider muß ich Dir schreiben, daß Hans gefallen ist. Er und zwei Kameraden waren als Sicherungspatrouille eingeteilt, bei der er im Feuerhagel des Feindes umgekommen ist. Mit gleicher Post schick ich Dir seine Erkennungsmarke und auch Deine Briefe, die er allesamt gut aufbewahrt hat. Sicherlich ist es jetzt schwer für Dich, aber er hat nicht leiden müssen, weil alles ganz schnell gegangen ist. Bitte, glaub mir das! Er war einer der vielen, die für unser Vaterland den Kopf hinhalten haben müssen.
Es grüßt Dich Dein Joschi“
Feldpost von Leopold W., gefallen am 23. November 1941 östlich von Lebjashe:
„Liebe Mama, lieber Papa!
Seit zwei Wochen bin ich Unteroffizier und voll Stolz über diese Ehre. Trotz aller wetterbedingten Hindernisse und hinhaltendem Feindwiderstand, gelang es unserem Regiment am 29. Oktober um 14 Uhr, den Bahnhof von Tschugujew, der etwa 35 km östlich von Charkow liegt, zu erkämpfen. Durch die Treffsicherheit unserer Artillerie konnte die starke Feindesflanke westlich von Tschugujew ausgeschaltet und der Russ’ auf diese Weise zum Verlassen der Feldstellungen gezwungen werden. Am 17.11. nahmen wir 300 Russen gefangen. Unsere Division bewegt sich immer weiter ostwärts, und für unser Volk und Vaterland werden wir den Sieg erringen. Obwohl es kein Leichtes ist und viele unserer tapferen Soldaten bereits ihr Leben im Kampf lassen mußten. Alois K., Karl S., Johann M., Josef L. Ihr habt sie alle gekannt. Der Sieg, der unser sein wird, wird auch der ihrige sein!
Grüße von der Front sendet Euch Poldl“
Feldpost von Friedrich K., gestorben am 25. November 1941 östlich vom Donez:
„Liebe Schwester!
Du brauchst den Eltern nicht erzählen, daß es mir nicht gut geht. Aber oft denk ich mir, daß ich im Kopf nicht mehr ganz richtig bin, weil ich nur mehr Blut seh, das in Wahrheit nicht da ist und Schreie hör und Schüsse, die es nur in meiner Einbildung gibt. Denk Dir, ich bild mir auch ein, daß es den Poldl erwischt hat. Den Buben von unserem Nachbarn, dem Weber. Mit dem Poldl waren wir doch als Kinder oft zusammen, und seit beinah zwei Wochen ist er hier Unteroffizier. Seine Blutflecken seh ich auf meiner Uniformjacke und picken tuts mir an den Stiefelschäften. Aber es kann doch nicht sein, daß das alles Wirklichkeit ist. Sollst das Geschrei einmal hören, das ich mir einbild. Schreien tuts, wie im Schlachthof bei den Viechern. Lieber Gott, hilf! Ein paar Tage war ich im Lazarett, und sie haben mir Mittel gegeben. Aber alles ist wie vorher geblieben. Das Blut und das Schreien und das Pumpern in meinem Schädl. Der zerspringt, wenn’s nicht bald aufhört. Bitte, erzähl den Eltern nichts!
Dein Bruder Fritz“
Feldpost von Vinzenz T., gefallen am 27. November 1941 bei Grakowo:
„Liebe Fanni!
Der Fritzl K. hat sich gestern bei der Nacht erschossen. Er war bei denen, die den Donezbrückenkopf erkämpft haben, und es hat dort viel Blutvergießen gegeben. Ein armer Teufel war der Fritzl. Oft hat er geflennt, wie ein kleiner Bub, daß er das alles nicht mehr aushält, und vor ein paar Tagen hat er mit dem Durchdrehen angefangen. Dabei sollen wir doch um unseren Sieg kämpfen, auch wenn der Kampf kein einfacher ist. Wie geht es denn Euch? Habt Ihr auch genug zum Heizen für den Winter?
Ich hoffe, ich komm bald einmal heim und schicke Dir viele Grüße, Dein Bruder Vinzenz“
Feldpost von Wilhelm H., gestorben am 29. November 1941 im Lazarett Tschugujew:
„Meine liebe Rosl-Maus, viel lieber wär ich bei Dir z’Haus. Würd Dich kosen, würd Dich necken, mit Dir im warmen Betterl stecken.
Liebes Roserl! Wie’st merkst, hab ich das Dichten noch immer nicht verlernt. Auch wenn mir manchmal gar nicht danach ist. Bist auch treu und denkst fleißig an mich? Aber mit dem Treusein habt ihr Weiberleut es ja heutzutag nicht schwer, wo alle brauchbaren Mannsbilder eingerückt sind! Ich hoffe, Du erkennst mich wieder, wenn ich bald einmal zu Dir komm und viel Unartiges mit Dir anstelle. Sogar im Lazarett muß ich immer an Dich denken!
Sei geküßt von Deinem Willi
Fast hätt’ ich’ s vergessen: Der Vinzenz lebt auch nicht mehr. Den Krieg, den soll der Teufl holen!“
Feldpost von Anton T., gefallen am 30. November 1941 bei Grakowo:
„Liebste Anni!
Wie geht es Dir und den Kindern? In dreieinhalb Wochen haben wir den Heiligen Abend und, wie es ausschaut, werd ich keinen Fronturlaub kriegen. Hat das hohe Fieber beim Mariechen denn lang gedauert. Hast auch den Spitzwegerichsaft bekommen? Nicht einmal schicken kann ich Euch was für Weihnachten. Armselig ist alles geworden. Sag, ist das wahr, daß sie die Juden alle evakuieren wollen? Man hört da an der Front so Gerüchte, aber halt nichts Genaues. Da fällt mir ein, Du hast doch den Willi gekannt. Den, der immer zur Rosl gegangen ist. Der ist vorgestern ins Lazarett. Gestern ist er dann gestorben. Hat ihn ein Bauchschuß erwischt. Gib den Kindern ein paar Bussln von mir.
Ich umarme Euch und drücke Dich, liebste Anni, ganz fest an mein Herz, Dein Mann Toni“
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Auf dem Divisionsfriedhof Tschugujew liegen 700 Gefallene der „Winterschlacht“ begraben. Ihnen, aber auch den vielen anderen Menschen, die den Abscheulichkeiten sämtlicher Kriege dieser Welt zum Opfer gefallen sind, soll mit diesen neun „Briefen“ gedacht werden. Diese „Briefe“ haben nirgendwo existiert.
(erschienen am 30. Oktober 1999 in OÖN)
Text & Fotos © Henriette Sadler